Bedrohlich oder sicher? Warum es für die Entwicklung von Resilienz wichtig ist, negative von neutralen Reizen zu unterscheiden
Warum triggert Stress bei einer Person die Entstehung einer psychischen Erkrankung, während es anderen Menschen gelingt, trotz widriger Lebensumstände ihre psychische Gesundheit aufrechtzuerhalten? Die neuronalen Schaltkreise, die dieser individuellen Resilienz zugrunde liegen, sind bislang unzureichend erforscht. Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung (LIR) in Mainz haben nun einen Ansatz entwickelt, mit dessen Hilfe erstmals grundlegende Mechanismen der Resilienz in der Maus modelliert und erforscht werden können. Sie konnten zeigen, dass die Funktionsweise des Furchtschaltkreises von grundlegender Bedeutung für Resilienz ist: resiliente Tiere können potentiell bedrohliche besonders gut von neutralen sozialen Reizen unterscheiden und zeigen die Fähigkeit, negative Ereignisse rasch wieder aus der Erinnerung zu löschen. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe der hochrangigen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht.
Soziale Lebewesen bewerten ihre Interaktionen mit Artgenossen, indem sie zwischen der potenziellen Gefahr und dem Benefit der Interaktion abwägen. Auch für den Menschen ist die Fähigkeit, die Qualität sozialer Reize zu unterscheiden, von grundlegender Bedeutung: es ist bekannt, dass hierbei drei Eigenschaften besonders wichtig sind, nämlich:
1. das Individuum kann aus negativen Erfahrungen lernen und das erlernte Wissen auf zukünftige soziale Ereignisse anwenden, so dass eine optimale Anpassung des Verhaltens erfolgen kann,
2. das Individuum kann die Qualität von Reizen (positiv/negativ) präzise unterscheiden, um eine sogenannte Generalisierung der Furchtreaktion, bei der es zu einer unerwünschten Ausbreitung der Angst auf ursprünglich neutrale Reize kommt, zu vermeiden,
3. dem Individuum gelingt es, negative Erinnerungen wieder auszulöschen.
Sind diese drei Eigenschaften gut ausgeprägt, stärkt dies die Resilienz eines Individuums. Umgekehrt gibt es zahlreiche Hinweise dafür, dass beispielsweise bei Patienten mit Angsterkrankungen und stress-assoziierten affektiven Störungen Defizite in diesen Fähigkeiten vorliegen.
Weltweit stellen psychische Erkrankungen, und hier insbesondere Stress-assoziierte affektive Erkrankungen, eine der häufigsten Ursachen für krankheitsbedingten Erwerbsausfall dar. Vor dem Hintergrund zahlreicher globaler Krisen wie der COVID-Pandemie, Krieg oder Naturkatastrophen ist die Entwicklung von gezielten Maßnahmen zur Prävention Stress-assoziierter psychischer Erkrankungen aktuell wichtiger denn je. Eine naheliegende Möglichkeit zur Prävention stellt die gezielte Stärkung der individuellen Resilienz dar. Um derartige Präventionsansätze maßgeschneidert entwickeln zu können, ist jedoch zunächst ein bestmögliches Verständnis von den der Resilienz zugrunde liegenden neurobiologischen Mechanismen unabdingbar. Tierexperimentelle Modellansätze können hierbei einen entscheidenden Beitrag leisten, um diese fundamentalen Mechanismen aufzuklären.
Doch woran erkennt man eine resiliente Maus? Um diese Frage zu beantworten, haben Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung (LIR) in Mainz gemeinsam mit Kooperationspartnern der Universitätsmedizin Mainz einen tierexperimentellen Ansatz entwickelt, um genau die obengenannten Eigenschaften bestmöglich in ein Tiermodell zu übersetzen und detailliert zu untersuchen. Ihnen ist es hierdurch gelungen, zu zeigen, dass es – genau wie bei Menschen – auch bei Mäusen Individuen gibt, welche potentiell bedrohliche Reize besonders gut von neutralen sozialen unterscheiden können, und bei denen außerdem die Auslöschung negativer Erinnerungen besonders gut funktioniert. „Es ist faszinierend zu sehen, dass wir grundlegende Prozesse in der Funktionsweise des Furchtschaltkreises und deren Bedeutung für Resilienz gegenüber sozialem Stress, so wie wir es aus Untersuchungen am Menschen kennen, exakt so in der Maus modellieren können. Resiliente Mäuse zeichnen sich durch die gleichen Fähigkeiten aus wie resiliente Menschen“ erklärt Professorin Marianne Müller, in deren Arbeitsgruppe am Leibniz-Institut für Resilienzforschung die Studie durchgeführt wurde. „Bestätigt wurden unsere Verhaltensunterschiede zwischen resilienten und nicht-resilienten Mäusen ferner durch hirnareal-spezifische Unterschiede in sogenannten Transkriptomsignaturen. Diese stellen eine Art Fingerabdruck der genetischen Information dar. Wir haben somit erste Hinweise für die molekularen Grundlagen, welche den unterschiedlichen Verhaltensmustern zugrunde liegen.“
„Somit ist es erstmals gelungen, einen Modellansatz zu modellieren, der es erlaubt, speziesübergreifend – d.h. von der Maus zum Menschen - die neurobiologischen Mechanismen der Resilienz weiter aufzuklären,“ ergänzt Sarah Ayash, Erstautorin der Studie. „Langfristig wird unser Modellansatz dazu beitragen können, eine individualisierte und zielgerichtete Prävention Stress-assoziierter psychischer Erkrankungen depressiver Erkrankungen entwickeln zu können.“
Weitere Informationen: Ayash S, Lingner T, Ramisch A, Ryu S, Kalisch R, Schmitt U, Müller MB. Fear circuit-based neurobehavioral signatures mirror resilience to chronic social stress in mouse. PNAS 17/04/2023. DOI number 10.1073/pnas.2205576120